Solange Du nicht zu steigen aufhörst,
hören die Stufen nicht auf,
unter Deinen steigenden Füßen wachsen sie aufwärts.
Franz Kafka
Trittsteine
4 Stufen der Übung
Es werden vier Stufen der Übung unterschieden. Wer auf seiner Suche auf diese Seite gelangt ist, für den dürften die beiden ersten bereits nicht mehr ausreichen:
1. Die von Gedanken geleitete Betrachtung etwa eines Bibeltextes oder anderer geistlicher Schriften, Bilder usw. Dazu gehören das Stundengebet, die Lectio divina, die „Stille Zeit“, das Psalmensingen und andere hergebrachte und neuere Formen.
2. Das Verweilen bei einem einzelnen Gegenstand, z. B. bei einem Bibelwort. Ohne über das zu Betrachtende nachzudenken, lässt man Bilder, Emotionen, Assoziationen, Impulse aufsteigen, ohne sie zu bewerten. Dabei kann noch eine gezielte Lenkung entweder durch einen Übungsleiter oder durch vorgegebene Übungsschritte eine Rolle spielen.
Üblicherweise gilt die Stufenleiter hier bereits als beendet. Wenn jemand dies als ungenügend oder schal empfindet, wird ihm meist empfohlen, es mit mehr Selbstdisziplin zu versuchen. Aber der Weg muss weitergehen. Wenn er hier stillgestellt wird, brechen viele Menschen enttäuscht ab. Das ist einer der Gründe, warum man dann in Fernost nach dem sucht, was man hier nicht findet.
In bestimmten Situationen wird aber auch der Geübte auf diese ersten Stufen zurückgreifen.
Aber es geht noch weiter:
3. Die Leitwortmethode. Man wählt sich ein geeignetes kurzes Wort zur Meditation. Amen / Om, Ja, Jesus waren z. B. bei den Wüstenvätern geläufig, aber es kann auch ein selbst gesuchtes Wort sein. Im Allgemeinen eignen sich dunkle Vokale besser als helle. Wichtig ist, dass man das einmal gewählte Leitwort nicht immer wieder wechselt, damit es zu einem Anker werden kann, zu dem der Geist mit der Zeit unwillkürlich greift.
Dieses Wort verbinden wir mit dem Atem, ungefähr so, als würden wir das Wort beim Ausatmen singen. Wer allein ist und niemanden stört, kann auch eine Weile laut üben. Der Geist füllt sich ganz und ausschließlich mit diesem einen Wort, ohne über es nachzudenken oder seinen besonderen Sinn ergründen zu wollen. So dass nichts anderes im Geist mehr Raum hat.
4. Die eigentliche Kontemplation. Auch das Leitwort lassen wir zurück und treten ein in eine reine Achtsamkeit. Das Bewusstsein ist bei höchster Wachsamkeit und Präsenz auf „Nichts“ gerichtet, das heißt auf keinen bestimmten Bewusstseinsinhalt. Gedanken können zwar weiterhin aufsteigen, werden aber weder abgewehrt noch bewertet oder gar weitergesponnen, sondern wir meditieren wie ein Berg, der von Wolken (den Gedanken) umspielt wird. Die Wolken beeinträchtigen den Berg nicht. Er ruht in der Stille und lässt geschehen.
Selbsterlösung?
Nicht selten sehen sich geistliche Übungswege dem Vorwurf gegenüber, es handele sich um eine Art Selbsterlösung: statt sich Gott anzuvertrauen, statt auf die Erlösungstat Christi zu antworten, versuche der Mensch, sich „am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen“.
Ich empfehle, das auszuprobieren: „Setze dich auf dein Meditationskissen und erlöse dich selbst!“
Es gibt keinen schnelleren Weg, die Absurdität dieses Unterfangens einzusehen. Denn wie sollte das gehen? Es entspräche tatsächlich dem Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Ein paar ausgerissene Haare und das Gefühl, sich lächerlich gemacht zu haben, wären der größte Schaden, den man damit anrichten kann.
Nein, auf einem Meditationskissen wird man sofort mit der eigenen Ohnmacht, etwas zu bewirken, konfrontiert. Geschehen lassen ist das Einzige, was man „tun“ kann.
Entspannung?
Meditation ist keine Entspannungsübung. Wer sie beginnt mit dem Ziel „zur Stille zu kommen“ wird oft zunächst einmal enttäuscht. Die Meditation führt uns in unsere Wahrheit. Diese kann u. U. gerade das Gegenteil sein: innere Unruhe, Aufgewühltsein, Angst… Deshalb ist eine gewisse psychische Stabilität Voraussetzung für einen intensiveren Übungsweg.
Auf lange Sicht bauen sich auf dem Übungsweg allerdings tatsächlich Spannungen ab.
Visionen
Ein geläufiges Vorurteil meint, dass Visionen, Auditionen und andere außerordentliche Geisteszustände zu einem mystischen Weg dazugehören oder gar das Ziel sind. Ich betrachte Visionen u. dgl. als „Sekundärphänomene“. Sie können auftreten, müssen aber nicht. Sie können – bei entsprechender Veranlagung – auch ganz ohne jede Übung plötzlich in Alltagssituationen auftreten.
In jedem Fall bedürfen sie einer Deutung und Einordnung in das Gesamtgeschehen. Dann können sie für den weiteren Übungsweg fruchtbar gemacht werden.
Wenn eine solche Deutung nicht gelingt, kann das für die betreffende Person belastend sein.
Vorzugsweise stellen sich diese Phänomene am Anfang eines Übungsweges ein. Meister Eckhart deutet sie mit folgendem Bild: Wenn ein Holzscheit ins Feuer gelegt wird, dann fängt es an zu rauchen und zu zischen. Wenn das Scheit dann durchglüht ist und ruhig brennt, raucht und zischt es nicht mehr.
Nicht der Rauch ist das Ziel, sondern das Feuer.
Höhere Bewusstseinszustände?!
Gibt es so etwas, oder ist die Rede davon bloß Hokuspokus?
Wir alle kennen tiefere und höhere Bewusstseinszustände. Vom traumlosen Tiefschlaf über die verschiedenen Traumqualitäten, den Halbschlaf und die halbwache Zerstreutheit führt der Weg erst einmal in das normale Tagesbewusstsein und die fokussierte Konzentration. Schon letztere ist (wie u. U. auch das normale Tagesbewusstsein) Menschen mit psychischen Belastungen zeitweise nicht zugänglich. Viele kennen auch das sogenannte „Flow“-Erlebnis, bei dem wir völlig in einer Tätigkeit oder einem Erlebnis aufgehen und das Zeitgefühl verlieren.
Dass die Skala hier zu Ende sei ist allenfalls ein Vorurteil. Allerdings sind die weiteren Zustände in der Regel ohne Übung nicht zugänglich.
Die Benennung der folgenden Stufen ist je nach Tradition und Autor unterschiedlich. Begriffe wie Klarsicht, intellektuelle Vision, Wesensschau (Kensho), Gottesgeburt in der Seele, Satori bleiben nur Worte, bis man sich auf den Weg gemacht hat.
Meditation und Ernährung
Eine oft diskutierte Frage ist, ob geistliche Übungswege eine bestimmte Ernährungsform voraussetzen.
Meine Antwort, auch wenn ich mich seit vielen Jahren vegan ernähre, ist: zunächst einmal nicht. Denn große Traditionen und Übungswege wurden in Ländern entwickelt, in denen eine vegane Ernährung gar nicht möglich war. (Bei aller derzeitigen Erregung über diese Fragen sollten wir uns bewusst machen, dass es nördlich der Alpen erst durch die modernen Transport- und Kühltechniken möglich geworden ist, vegan über den Winter zu kommen.)
Dennoch rate ich dazu, in dieser Frage bewusst vorzugehen. Ich habe erlebt, dass sich meine Psyche sprunghaft geklärt hat, als ich Fleisch und Milchprodukte wegließ. Die Angst- und Stresshormone, die die Tiere bei der heute üblichen Art der industriellen Fleischproduktion ausschütten, essen wir mit, und sie wirken sich aus. Auch wer sich nicht zu einer veganen Ernährung entschließen will, tut gut daran, wenn er auf die Herkunft seiner Lebensmittel achtet. Das unterstützt zumindest die körperliche und psychische Seite.
Bei dieser Frage ist mir jede ideologische Verhärtung fremd.
Auch die sehr förderliche Kombination von Fasten und Meditation ist mir vertraut.